180% Druckausgleich

Was für Zeiten! Es hat sich eine Menge Dampf im Kessel angestaut: Die Zahl der auf unterschiedliche Weise Imstichgelassenen nimmt zu, die diskursiven Frontverläufe verhärten sich. Jahrelang wurden Eigenverantwortung vor Solidarität, Leistungs- vor Gleichheitsversprechen gestellt. Nun fährt man die Ernte der Radikalisierung ein: Manche kompensieren ihre Ohnmacht, indem sie der Mehrheit ihr narzisstisches Verständnis von »Freiheit« aufzuzwingen versuchen. Andere fordern von denjenigen, die sich in der »Mehrheit« glauben, zu Recht endlich mehr Wahrnehmung, Teilhabe und Mitbestimmung ein. Das Stimmungshoch der spaßigen 90er scheint endgültig von einem Dauertief abgelöst, genährt von vielen Ängsten: vor der Klimakrise, den zunehmenden Verteilungskämpfen, einer wieder höchst ungewiss gewordenen Zukunft. Nebst Krieg und atomarer Bedrohung. Wie reagieren die Künste und die Künstler:innen, wenn der schöne Schein tiefe Risse zeigt?

Die Ventile öffnen und Druck ablassen; Aufzeigen, was falsch läuft und dennoch unterschiedliche Perspektiven austarieren; Möglichkeitsräume imaginieren – das ist seit je her die Kraft des Theaters. Der ökonomische, gesundheitliche, seelische Druck der aktuellen Krisen zwingt zur Standortbestimmung und Neupositionierung. Weiterfunktionieren, weiter mitmachen, seine Kraft investieren – aber wobei und wofür genau, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen? Was ist lebensnotwendig, was Lebensqualität? Und wieso ist das alles so verdammt ungleich verteilt?

Viele der aus über 50 Einreichungen ausgewählten Stücke agieren mit Wut und klagen an, machen Machtverhältnisse sichtbar, zerlegen noch das kleinste Staubkorn, tauchen unter die Oberfläche, in die sozialen Zwischenräume oder in ihre eigenen Erinnerungswelten. Und machen uns trotzig Hoffnung, kitzeln die Vorstellungs- und Abwehrkräfte, verschaffen uns befreiendes Lachen.

Willkommen also bei 180% DRUCKAUSGLEICH in Gießen, Kassel und Darmstadt! Einen aerosolfreien Fanfarenstoß an all unsere Förderer, Partner- und Veranstalter:innen, alle Künstler- und Helfer:innen; und an Sie, das Publikum – ohne welches jedes Theater zur reinen Luftnummer verdammt wäre.

Ihre MADE.Festivalleitung
Katja Hergenhahn und Steffen Lars Popp